"Ich wollte keine weibliche Version von John Wick": Regisseur Len Wiseman verrät uns seine Action-Vision für "Ballerina"
Björn Becher
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Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

Das „John Wick“-Universum wächst weiter – mit den ersten Kino-Spin-off der Action-Reihe. In „Ballerina“ geht Ana de Armas als schlagkräftige Killerin ihren eigenen Weg. Wir haben darüber mit Regisseur Len Wiseman gesprochen.

Seit der Sci-Fi-Enttäuschung „Total Recall“ (2012) hat „Underworld“-Schöpfer Len Wiseman keinen Kinofilm mehr gedreht, sondern sich vor allem auf Serien wie „Lucifer“ oder „Sleepy Hollow“ auf den Weg gebracht. Aber nun meldet er sich mit krachender, erfreulich handgemachter Action auf der großen Leinwand zurück: In dem zwischen den Ereignissen von „John Wick 3“ und „John Wick 4“ angesiedelten „Ballerina“ (ab sofort im Kino) begleiten wir Ana de Armas als Auftragskillerin Eve, die sich auf eine persönliche Rache-Mission begibt. Diese führt sie unter anderem in ein Alpendorf voller Auftragskiller*innen…

Trotz Verweisen auf die „John Wick“-Reihe hat die Action zugleich auch eine eigene Note. Natürlich reden wir mit Len Wiseman ausführlich darüber, wie es war, gemeinsam mit der von „John Wick“-Schöpfer Chad Stahelski gegründeten Stunt-Schmiede 87eleven an möglichst abgefahrenen Action-Setpieces samt Flammenwerfer-Inferno zu arbeiten. Aber zuerst wollen wir von dem Regisseur beim persönlichen Gespräch in Berlin wissen, warum gerade „Ballerina“ ihn zurück zum Kino brachte...

Len Wiseman: Weil ich direkt auf das Drehbuch reagiert habe. Mir wurden viele Projekte angeboten, doch ich wollte keinen Film machen, für den ich nicht auch selbst das richtige Publikum wäre. Denn gerade wenn du einen Actionfilm, übernimmst, wird das praktisch zu deinem Lebensinhalt, man muss sich als fragen: „Mit welchem Film möchte ich im Grunde drei Jahre meines Lebens verbringen?“ Und hier hat der Tonfall direkt einen Nerv bei mir getroffen. Zudem liebe ich die „John Wick“-Reihe. Es hat also einfach gepasst.

Regisseur Len Wiseman arbeitet mit Ana de Armas an LEONINE
Regisseur Len Wiseman arbeitet mit Ana de Armas an "Ballerina".

FILMSTARTS: Als der Film angekündigt wurde, dachten viele: „Okay, jetzt bekommen wir eine weibliche Version von John Wick!“ Wie hast du sichergestellt, dass genau das nicht eintritt, sondern Eve eine eigene Figur wird?

Len Wiseman: Genau das war auch mein erster Gedanke – und ich konnte sogar direkt die Schlagzeilen dazu vor mir sehen. Ich habe aber überhaupt kein Interesse daran, eine weibliche Version von John Wick zu machen. Und Ana wollte das auch nicht, wie sich direkt bei unserem ersten Treffen gezeigt hat. John Wick ist John Wick; Eve ist Eve!

FILMSTARTS: Ihre Eigenständigkeit erzählt ihr auch über die Actionchoreografie. Es gibt zwar einige Bezüge auf den Gun-Fu-Stil, den die „John Wick“-Filme berühmt gemacht haben. Aber Ana kämpft als Eve am Ende ganz anders, auch viel rauer und roher…

Len Wiseman: Ich wollte das zunächst tatsächlich als eine Art falsche Fährte einbauen. Wer dann aber genau darauf achtet, merkt schnell, dass Eve gar nicht viele Waffen benutzt. Es gibt längst nicht so viel Gunplay, wie man es aus einem „John Wick“-Film erwarten würde. Es gibt zwar diese Montage, in der sie sich ausrüstet und ein ganzes Arsenal zusammenstellt – aber sie kommt nie dazu, es dann auch zu benutzen. Mich inspirierte dabei der erste „Rambo“-Film. Auch Eve muss sich alles irgendwie zusammenkratzen und improvisierte Waffen verwenden. Für mich muss sie diese Kämpfe in erster Linie auch nicht gewinnen, sondern überleben.

Mit Schlittschuhen an den Fäusten – so kam es dazu

FILMSTARTS: Du sprichst die improvisierten Waffen an – ich finde ja die wie Boxhandschuhe genutzten Schlittschuhe ganz großartig. War das schon im Drehbuch?

Len Wiseman: Das war eine der ersten Ideen, die ich hatte. Weil so viel Action in den Alpen spielt, dachte ich mir: Lasst uns diesen Schauplatz nutzen – und Schlittschuhe waren eines der ersten Dinge, die mir dazu in den Sinn kamen. Wie du vielleicht weißt, habe ich in Hollywood als Requisiteur angefangen [Anm.: bei Filmen wie „Independence Day“ oder „Men In Black“] und das steckt noch immer in mir drin. Ich baue Dinge gerne mal einfach für mich, um zu sehen, ob es cool wäre – und so bin ich in ein Sportgeschäft gegangen, habe ein Paar Schlittschuhe gekauft, Kunstblut darauf geschmiert und überlegt, was für Moves man damit machen könnte.

Daraus wurde dann die Sequenz, die das Team von 87eleven weiterentwickelt hat. Und ganz ähnlich war es auch beim Granatenkampf. Ich habe noch nie einen Nahkampf mit Granaten gesehen. Passend zu unserem Alpen-Schauplatz habe ich das also dem Studio gepitcht: „Es ist wie eine Schneeballschlacht – aber mit Granaten.“

Ein Flammenwerfer-Duell - das Action-Highlight von LEONINE
Ein Flammenwerfer-Duell - das Action-Highlight von "Ballerina".

FILMSTARTS: Da müssen wir natürlich direkt über den Flammenwerfer sprechen, denn das ist sicher der spektakulärste Moment des Films. Ihr habt mit echtem Feuer gedreht, statt einfach auf Computereffekte zu setzen. Was war die größte Herausforderung dabei?

Len Wiseman: Ja, das war alles echt. Das ist schließlich einer der Gründe, warum ich die „John Wick“-Reihe liebe. Sie basiert auf praktischen Effekten – und die haben eine ganz andere Wirkung auf das Publikum. Nun haben wir aber alle schon Flammenwerfer im Kino gesehen, zuletzt ja auch bei Quentin Tarantino, der ihn in „Once Upon A Time … In Hollywood“ toll eingesetzt hat. Aber ein Duell zweier Flammenwerfer, das hat man noch nie gesehen. Es gibt nichts Vergleichbares – und wenn du für eine Szene keine Referenz findest, um dein Konzept zu erklären, ist das ein gutes Zeichen.

Die Herausforderung war dabei einfach, dass es echtes Feuer ist – und falls trotzdem jemand daran zweifelt, achtet einfach nur auf die Kleidung von Ana. Allein daran, dass sie eine komplett andere Garderobe trägt, sieht man es. Sie musste Schutzkleidung tragen, um die Szene überhaupt drehen zu können. Wenn es CGI gewesen wäre, hätte ich ihre Kleidung im Vergleich zur vorherigen Szene nicht geändert.

Die völlige Freiheit der Welt von "John Wick"

FILMSTARTS: Wenn wir schon über deine Vorliebe für all diese verrückten Ideen sprechen, innerhalb der „John Wick“-Mythologie scheint ja eh alles möglich – selbst ein ganzes Dorf voller Auftragskiller…

Len Wiseman: Das ist das Beste überhaupt. Aber was mir wichtig ist: Ich versuche gleichzeitig, den Film so bodenständig wie möglich zu halten. Ich will, dass die Bedrohung echt ist. Ich will, dass die Action echt wirkt. Auch die Schauplätze sollen echt wirken. Es soll sich echt anfühlen, selbst wenn es völlig überhöht ist. Nimm zum Beispiel die „Underworld“-Filme. Da geht es um Vampire und Werwölfe, aber ich hoffe trotzdem, dass das Publikum spürt, dass die Umgebung und die Action und rau und geerdet sind. Mich begeistern solche Welten, die nicht ganz real sind, sich aber real anfühlen. Das ist mein Spielfeld.

FILMSTARTS: Es wurde ja viel geschrieben, dass es Verzögerungen und Nachdrehs mit 87eleven-Boss und „John Wick“-Regisseur Chad Stahelski gab. Wie lief denn eure Zusammenarbeit nun genau ab?

Len Wiseman: Sie war einfach großartig. Ich kenne das Team seit etwa 20 Jahren. Ich habe mit einigen aus dem 87eleven-Team bereits an diversen Projekten gearbeitet, aber noch nie vorher mit dem ganzen Team zusammen. Ich habe auch schon mit Chad gearbeitet. Er hat bei „Stirb langsam 4.0“ die Stunts für mich gemacht. Wir kennen uns also von früher, was ein großer Vorteil war. Denn wir teilen dieselbe Herangehensweise. Es war immer eine gemeinsame Entscheidung mit der Frage: „Was können wir dem Publikum zeigen, was es noch nie gesehen hat?“ Das ist ein wichtiger Antrieb für mich, 87eleven und Chad.

Auch Keanu Reeves schaut in LEONINE
Auch Keanu Reeves schaut in "Ballerina" vorbei.

FILMSTARTS: Keanu Reeves hat nicht nur einen Cameo, sondern ist im Finale auch selbst Teil der Action. Für mich ist das der Moment, wo der Film hätte kippen können. Denn wenn er auftaucht, sind sofort alle Augen auf ihn gerichtet und es hätte schnell passieren können, dass John Wick den Film stiehlt. Wie schwer war es, da die Balance zu halten, ihn prominent im Film zu haben, aber trotzdem Eve im Mittelpunkt zu belassen?

Len Wiseman: Für mich ging es eher darum, es richtigzumachen. Ich hatte kein Interesse daran, dass er nur einen Cameo-Auftritt absolviert. Wenn er im Film auftaucht – und ich wollte ihn sehr gerne dabeihaben – dann musste es einen guten Grund dafür geben. Es sollte zur übergeordneten Thematik und zu Anas Figur passen. So kam der emotionale Aspekt hinzu: Das, was Eve durchmacht, spiegelt auf gewisse Weise, was John durchgemacht hat. Und er versteht sie deshalb. Trotzdem gelten weiter die strengen Regeln dieser Welt. Beim Kampf zwischen den beiden war mir dann wichtig, dass – und ich glaube, das sieht man – John Wick sich ein bisschen verhält wie ein Tiger mit seinem Jungen. Es ist ein harter Lehrkampf. Diesen Ton wollte ich treffen.

Len Wiseman über die Pläne für "Ballerina 2"

FILMSTARTS: Als jemand, der reichlich Erfahrung mit Sequels hat, muss ich dich natürlich fragen. Was hast du schon für Ideen für „Ballerina 2“? Gibt es etwas, dass du im ersten Film nicht umsetzen konntest oder dir bewusst für die Zukunft aufgespart hast?

Len Wiseman: Absolut. Ich habe jede Menge Ideen. Mein Ansatz bei der Entwicklung eines Films ist ohnehin immer, dass ich die ganze Geschichte der Figur kennen will. Ich weiß, was vor diesem Film mit ihr geschehen ist und was in Zukunft noch passieren könnte. Dabei geht es mir nicht direkt um die Planung eines Sequels, sondern um das Entwickeln eines Charakterbogens. Man muss sich meiner Meinung nach immer fragen: Wenn diese Figur das tut, wohin würde sie danach gehen? Was wären die Konsequenzen? Was würde sich daraus ergeben?

Manchmal fließt das noch in das aktuelle Drehbuch ein. Manchmal denkt man sich aber auch: „Oh, da hätte ich gerne hin gewollt – aber es passt nicht mehr in diesen Film.“ Und so habe ich einige Sachen, bei denen ich mir denke: „Ja, ich würde das sehr gerne noch erzählen!“ Es hat schließlich unglaublich viel Spaß gemacht. Ich liebe das Team. Ich glaube, Ana war einer der – wenn nicht sogar die – beste Partnerin, die ich je hatte, um ein solches Chaos zu erschaffen. Sie ist so engagiert, gnadenlos, voller Energie – und außerdem unglaublich witzig. Wenn das Publikum genug Interesse zeigt und alles passt, bin ich definitiv wieder dabei…

„Ballerina“ läuft aktuell in den deutschen Kinos. Falls ihr noch mehr über den Film erfahren wollt, empfehlen wir euch die aktuelle Ausgabe unseres Podcasts Leinwandliebe:

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