Als Quentin Tarantino zu Beginn der 1990er-Jahre mit „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ die Kinowelt auf den Kopf stellte, war eines der häufigsten im Zusammenhang mit seinen Filmen verwendeten Adjektive das Wort „cool“. Ob Killer mit Sonnenbrillen und gut sitzenden Maßanzügen, die in Zeitlupe durch die Straßen laufen, oder lässige Dialoge über Fastfood und Fußmassagen – in Sachen Coolness auf der Leinwand war Tarantino damals das Maß aller Dinge.
Rund drei Jahrzehnte zuvor kam Jean-Luc Godards „Außer Atem“ (1960) in die Kinos – ein Schlüsselwerk der französischen Nouvelle Vague, das mit Jean-Paul Belmondo als kettenrauchendem Antihelden, der zur Stilikone gewordenen Jean Seberg, jazzigem Soundtrack, Motiven aus der amerikanischen Popkultur und bewussten filmischen Regelbrüchen ebenfalls den zeitgenössischen Begriff von Coolness prägte.
Dass Tarantino den Film schätzt, ist bekannt – nicht umsonst hat er sich in Cannes erst kürzlich gleich zwei Mal hintereinander „Nouvelle Vague“ angesehen, der sich um die Entstehung von „Außer Atem“ dreht, und dessen Regisseur Richard Linklater bei der Premiere euphorisch gelobt. Doch Tarantino wäre nicht Tarantino, würde er es dabei belassen, einfach nur in den Kanon einzustimmen. Denn mindestens ebenso sehr wie den Godard-Meilenstein – wenn nicht sogar noch ein kleines bisschen mehr – liebt der „Kill Bill“-Schöpfer das US-amerikanische Remake: „Atemlos“, der 1983 mit Richard Gere in der Hauptrolle in die Kinos kam.

Richard Gere war vielleicht nie besser!
Auch die von Jim McBride („The Big Easy“) inszenierte Neuinterpretation folgt einem Kleingauner (Gere), der eigentlich nur einen Porsche klauen will, dabei aber versehentlich einen Polizisten erschießt – und im Anschluss auf eine Studentin trifft (hier gespielt von Valérie Kaprisky), mit der er eine kurze Romanze eingeht, bevor das Schicksal seinen unvermeidlichen Lauf nimmt.
Die Fachpresse erwies sich damals als zu dogmatisch, um „Atemlos“ schätzen zu können – und verriss den erotisch aufgeladenen Crime-Thriller fast einhellig. Dabei verbindet McBride mit überschäumender Energie den Charme des 50er-Jahre-Rock’n’Roll mit der grellen Oberflächenästhetik der 80er-Jahre-Popkultur, und eine der großen Qualitäten des Films besteht darin, dass er – im Gegensatz zu seinen damaligen Kritikern – keine Unterscheidungen zwischen U- und E-Kultur fällt. Der sich aus ganz verschiedenen Einflüssen zusammensetzende Patchwork-Stil, der am Ende trotzdem etwas eigenes ergibt, ist in der Tat gar nicht so weit von Tarantinos eigener Herangehensweise entfernt.
Da wird die im Kern tragische Geschichte einer unerfüllbaren Liebe ummantelt von einer knalligen Bildgestaltung, da legen sich Pianoklänge von Philip Glass über Jerry Lee Lewis' „Breathless“ – und Poesie und Zärtlichkeit findet der Film ausgerechnet in einem „Silver Surfer“-Comic. Richard Gere liefert als Jesse Lujack derweil womöglich die Performance seines Lebens ab. Wie er sich völlig unironisch in exaltierte Greaser-Posen wirft, man ihm trotz seiner breitbeinigen Attitüde die Gefühle für Monica und seine Sehnsucht nach einem besseren Leben gänzlich abkauft, das ist eine unterschätzte Glanzleistung.
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Darum liebt auch Quentin Tarantino "Atemlos"
Zu den erklärten Fans von „Atemlos“ gehört auch Quentin Tarantino, der darüber in einem Interview regelrecht ins Schwärmen geriet (via Far Out Magazine). So zählt der „Once Upon A Time... In Hollywood“-Macher das freie Remake zu den „coolsten“ Filmen, die er je gesehen habe. „Hier ist ein Film, der all meinen Obsessionen freien Lauf lässt“, so der Filmemacher, „Comics, Rockabilly-Musik und Kino.“
Tatsächlich hat Tarantino den Film sogar in „Reservoir Dogs“ verewigt: Das Silver-Surfer-Poster in Freddy Newandykes (Tim Roth) Wohnung stellt eine Hommage an Lujacks Begeisterung für den Comichelden dar. Welchem kontroversen 80er-Jahre-Klassiker Tarantino unbedingt nacheifern wollte, erfahrt ihr hingegen im nachfolgenden Artikel:
"Das wird man dir nicht erlauben": Diesem kontroversen 80er-Jahre-Klassiker wollte Quentin Tarantino unbedingt nacheifern*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.